Andrea Wulf: The Invention of Nature: Alexander von Humboldt’s New World New York: Knopf, 2019. Gebunden, 473 Seiten – ![]() ![]() |
Im Jubiläumsjahr 2019 (Alexander
von Humboldt wäre 250 Jahre alt geworden) wurde die erstmal 2015
erschienene Biografie von Adrea Wulf (deutsche Übersetzung 2016,
Übersetzer Hainer Kober) über
den vielseitigen Gelehrten, Forscher und Entdecker neu aufgelegt. |
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Simon
Bolivar über Alexander von Humboldt |
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Brief von Simon Bolivar an Gaspar Rodriguez de
Francia, dem damaligen Diktator von Paraguay, Lima 22. Oktober
1823: „From the early years of my youth I had the honor of cultivating the friendship of Mr. Bonpland and Baron de Humboldt, whose learning has done America more good than all of the conquerors.” Brief von Simon Bolivar an Mrs Bonpland, Lima 23. Oktober 1823 „Bolivar referred to Humboldt as the »discoverer of the New World«.” |
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Rippy & Brann 1947, S. 701 |
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Humboldt war von einer
besonderen Neugierde bezüglich der Natur besseelt. In der Biografie
wird beschrieben, wie er beinahe vom Gift Curare erfasst worden wäre
(S. 66). In einem Interview gab Andra Wulf an, dass er das Gift an sich
selbst ausprobiert hat. Er trank es und hatte Glück, Curare ist nur bei
der Aufnahme über die Blutbahn tödlich. In seinem Naturverständnis betrachtete er die Natur nicht als mechanisches System, sondern als lebendigen Organismus (siehe oben ![]() Friedrich Wilhelm Schelling (S. 129). Mit Schelling stellte sich Humboldt damit gegen ein mechanisches System, wie es beispielsweise Pierre-Simon Laplace in seiner Abhandlung über die Himmelsmechanik (1799 bis 1823) propagierte. In einem anderen Punkt zum Naturverständnis stimmt Humboldt aber mit Laplace überein. In seinem fünfbändigen Kosmos – Entwurf einer physischen Weltbeschreibung kommt "Gott" nicht vor (S. 246). In Laplace: Exposition du Système du monde kommt Gott ebenfalls nicht vor. Dazu Laplace laut Überlieferung zu General Napoleon Bonaparte: „Ich benötigte diese Hypothese nicht.” Statt von Gott sprach Humboldt vomNetz des organischen Lebens. |
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Humboldt geißelte die Abholzung
der Wälder in Südamerika und die Ableitung des Wassers für die
Bewässerung. Er wies auf die Auswirkungen aufs Klima hin und nannte
drei Arten, wie die Menschen dieses beeinflussen:
Humboldt erkannte das Netzwerk der Natur und tadelte die Ausbeutung der Natur. Er war nicht nur ein früher Popstar der Wissenschaft, sondern auch ein Pionier des Klimaschutzes und der Umweltbewegung. |
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Gegen Kolonialismus und Sklaverei |
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Alexander
von Humboldt machte den Kolonialismus für die Zerstörung der
Umwelt verantwortlich (S. 105). Im vierbändigen Political Essay on the Kingdom of New Spain prangerte er den Kolonialismus und Rassismus in Lateinamerika an (S. 152). Die europäische Barbarei erzeuge Ungerechtigkeit in der Neuen Welt, schrieb er. Später verweigerte ihm die britische East India Company den Zutritt zum indischen Subkontinent, wohl um nicht auch Schelte zu riskieren (S. 167). Auch die Sklaverei prangerte Humboldt an. Allerdings begründete er seine Kritik mit einem Naturalistischen Fehlschluss (S. 108; ![]() |
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Gegen fanatische Religiösität |
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Die Missionare behandelten die
Indios brutal, berichtete Humboldt (S. 153). Sein ganzes Leben
kritisierte er die Missionare in Südamerika und die Kirche in Preußen
(S. 246). |
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Wirkung |
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Humboldts Reisebuch Personal
Narrative begeisterte Charles Darwin.
Er schrieb an Alfred
Russel Wallace 1865:
Zum Verhältnis Darwin – Humboldt ist aufschlußreich Werner 2010. Auch der Geologe Charles Lyell und der Chemiker Justus Liebig wurden von Humboldt inspiriert. Wulf unterschlägt bei den Nachfolgern von Humboldt den Schattenhelden der Entdeckung der Evolution: Alfred Russel Wallace (1823-1913). Wallace nennt als Initiallektüre für seine Reisen in die Tropen. Humboldt: Personal Narrativ Darwin: Voyage of the Beagle Kevin M. Anderson, siehe ![]() Humboldt beeinflusste auch die Naturalisten und Literaten in den USA: Edgar Allan Poe, Henry Thoreau, Ralph Waldo Emerson, Walt Whitman (S. 248), George Perkins Marsh (dem die Autorin ein eigenes Kapitel 21. "Man and Natur" widmet), die Naturforscher John Muir und Ernst Haeckel. Es brauchte nicht diese Biografie um Humboldt in ![]() |
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Amüsantes |
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Die Brüder Wilhelm und Alexander
gingen nicht zum Begräbnis ihrer Mutter. Sie waren anscheinend mit
Wichtigerem beschäftigt (S. 39). Das erinnerte mich an einen anderen Großen der Weltgeschichte. Bertrand Russell lehnte die Einladung zur Krönung der englischen Königin in die Westminster-Abtei ab: „Ich habe sehr viel andere Dinge zu tun. Ich bin ein vielbeschäftigter Mensch.” "Bertrand Russell", Der Spiegel 10.06.1953, Seite 25 |
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Kritik |
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Der Autorin gebührt Lob, dass
sie die Biografie Humboldts in einen Gesamtzusammenhang stellt. Darin
gleicht sie ihrem Untersuchungsobjekt, der auch das Netz der Natur, in
dem alles wirkungsmäßig zusammenhängt, propagierte. Sie diskutiert
philosophische, wissenschaftstheoretische und
wissenschaftshistorische Fragen. Die Leser erhalten auch gleich in
Kurzseminar zu Immanuel
Kant (S. 34–36). In Fragen des Rassismus und der Sklaverei läßt
Humboldt den großen Königsberger Philosophen weit hinter sich. In Online-Kritiken werden einige Ungenauigkeiten der Autorin aufgebauscht.
Isaac Newton wird genannt, als sei er der erste Wissenschaftler, der die Mathematik auf die Mechanik des Universums angewandt hätte (S. 17). Dabei stellte schon Galileo Galilei fest:
Auch dass – wie oben bereits erwähnt – der Forscher Alfred Russel Wallace fehlt, erscheint mir eine ernste Unterlassung. Doch all dies schmälert das Verdienst dieser Biografiie kaum. Angesichts der Online-Kritiken war es mir wichtig, die These und Kernaussagen der Autorin anhand anderer Quellen zu prüfen. Hier sind zwei diesbezüglich übereinstimmende Urteile.
Manches wiederholt die Autorin zu oft, sie will es der Leserschaft mehrfach eintrichtern, dass Alexander von Humbold der erste Ökologe war und die Erde als vernetzt ansah. |
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Preise |
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Die Autorin listet auf ihrem
Webauftritt zahlreiche Preise, die ihr und der Biografie völlig zurecht
zugesprochen wurden. Ich nenne nur
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Fazit Andrea Wulf bringt den Universalgelehrten und Kosmopoliten Alexander von Humboldt und seine Wirkungsgeschichte gut an ihre Leserschaft. Wer diese Biografie liest, erweitert sein Verständnis von Wissenschaft und der Welt enorm. |
In Ergänzung zum besprochenen Werk: Humboldtian Science – The Systematic Universe
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Links |
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Literatur |
Lauth, Bernhard, Jamel Sareiter
(2002): Wissenschaftliche
Erkenntnis. Eine ideengeschichtliche Einführung in die
Wissenschaftstheorie. Paderborn: Mentis. |
Mittelstraß,
Jürgen, Hg. (2005): Enzyklopädie
Philosophie und
Wissenschaftstheorie. 2., neubearbeitete und wesentlich ergänzte
Auflage. Stuttgart: Metzler. |
Rippy, J. Fred, E. R. Brann
(1947): „Alexander Von Humboldt and Simón Bolívar”. The American Historical Review
52:4, S. 697–703. |
Werner,
Petra (2009): „Zum
Verhältnis
Charles Darwins zu Alexander v. Humboldt und Christian Gottfried
Ehrenberg”. Internationale Zeitschri
für Humboldt-Studien 10:18, S. 68-95. |
Werner, Petra (2010): „Charles
Darwin und Alexander von Humboldt – Vortrag im Plenum der
Leibniz-Sozietät am 10. September 2009”. Sitzungsberichte der Leibniz-Sozietät der
Wissenschaften zu Berlin 105, S. 107–121 ![]() |
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