[192] Benno
Kerry hat in einer Reihe von Artikeln über Anschauung und ihre
psychische Verarbeitung in dieser Vierteljahrsschrift vielfach teils
zustimmend, teils bestreitend auf meine Grundlagen der Arithmetik und andere
von meinen Schriften Bezug genommen. Dies kann mir nur erfreulich sein, und ich
glaube, mich am besten dadurch erkenntlich zu zeigen, daß ich die
Erörterung der von ihm bestrittenen Punkte aufnehme. Um so nötiger
scheint mir das zu sein, als sein Widerspruch zum Teil jedenfalls auf einem
Mißverstehen meiner Außerungen über den Begriff beruht, das
von andern geteilt werden könnte, und als diese Sache wichtig und
schwierig genug ist, um auch abgesehen von dieser besonderen Veranlassung
eingehender behandelt zu werden, als wie es mir in meinen Grundlagen passend zu
sein schien. Das Wort "Begriff" wird verschieden gebraucht, teils in einem
psychologischen, teils in einem logischen Sinne, teils vielleicht in einer
unklaren Mischung von beiden. Diese nun einmal vorhandene Freiheit findet ihre
natürliche Beschränkung in der Forderung, daß die einmal
angenommene Gebrauchsweise festgehalten werde. Ich habe mich nun dafür
entschieden, einen rein logischen Gebrauch streng durchzuführen. Die
Frage, ob dieses oder jenes zweckmäßiger sei, möchte ich als
weniger wichtig beiseite lassen. Man wird sich leicht über die
Ausdrucksweise verständigen, wenn man einmal anerkannt hat, daß
etwas da ist, was eine besondere Benennung verdient. Es scheint mir nun
das Mißverstehen Kerrys dadurch bewirkt zu sein, daß er
unwillkürlich seine eigene Gebrauchsweise des Wortes "Begriffs" mit meiner
vermengt. Hieraus entspringen ja leicht Widersprüche, die nicht meiner
Gebrauchsweise zur Last fallen. [193]
Kerry bestreitet das, was er meine Definition von Begriff nennt. Da
möchte ich nun zunächst bemerken, daß meine Erklärung
nicht als eigentliche Definition gemeint ist. Man kann auch nicht verlangen,
daß alles definiert werde, wie man auch vom Chemiker nicht verlangen
kann, daß er alle Stoffe zerlege. Was einfach ist, kann nicht zerlegt
werden, und was logisch einfach ist, kann nicht eigentlich definiert werden.
Das Logischeinfache ist nun ebensowenig wie die meisten chemischen Elemente von
vornherein gegeben, sondern wird erst durch wissenschaftliche Arbeit gewonnen.
Wenn nun etwas gefunden ist, was einfach ist oder wenigstens bis auf weiteres
als einfach gelten muß, so wird eine Benennung dafür zu prägen
sein, da die Sprache einen genau entsprechenden Ausdruck ursprünglich
nicht haben wird. Eine Definition zur Einführung eines Namens für
Logischeinfaches ist nicht möglich. Es bleibt dann nichts anderes
übrig, als den Leser oder Hörer durch Winke dazu anzuleiten, unter
dem Worte das Gemeinte zu verstehen. Kerry möchte den
Unterschied zwischen Begriff und Gegenstand nicht als absoluten gelten lassen.
Er sagt: "Wir haben an früherer Stelle selbst der Ansicht Ausdruck
gegeben, daß das Verhältnis zwischen Begriffsinhalt und
Begriffsgegenstand in gewisser Beziehung ein eigentümliches, irreduzibles
sei; hiermit war aber keineswegs die Ansicht verbunden, daß die
Eigenschaften: Begriff zu sein und Gegenstand zu sein einander
ausschlössen; die letztere Ansicht folgt aus der ersteren so wenig als
etwa daraus, daß das Verhältnis zwischen Vater und Sohn ein nicht
weiter zurückführbares wäre, folgt, daß jemand nicht
zugleich Vater und Sohn (wiewohl natürlich nicht z.B. Vater dessen, dessen
Sohn er ist) sein könne." Knüpfen wir an dies Gleichnis an! Wenn
es Wesen gäbe oder gegeben hätte, welche zwar Väter wären,
aber nicht Söhne sein könnten, so würden solche Wesen offenbar
ganz anderer Art sein als alle Menschen, welche Söhne sind. Ähnliches
kommt nun hier vor. Der Begriff wie ich das Wort verstehe ist
prädikativ (1). Ein
Gegenstandsname hingegen, ein Eigenname ist durchaus unfähig, als
grammatisches Prädikat gebraucht zu werden. Dies bedarf freilich einer
Erläuterung, um nicht falsch zu erscheinen. Kann man nicht ebensogut von
etwas aussagen, es sei Alexander der Große, oder es sei die Zahl Vier,
oder es sei der Planet Venus, wie man von etwas aussagen kann, es sei
grün, oder es [194] sei ein
Säugetier? Wenn man so denkt, unterscheidet man nicht die Gebrauchsweisen
des Wortes "ist". In den letzten beiden Beispielen dient es als Kopula, als
bloßes Formwort der Aussage. Als solches kann es zuweilen durch die
bloße Personalendung vertreten werden. Man vergleiche z. B. "dieses Blatt
ist grün" und "dieses Blatt grünt". Wir sagen dann, daß etwas
unter einen Begriff falle, und das grammatische Prädikat bedeutet dabei
diesen Begriff. In den ersten drei Beispielen wird dagegen das "ist" wie in der
Arithmetik das Gleichheitszeichen gebraucht, um eine Gleichung
(2) auszusprechen. Im Satze "der
Morgenstern ist die Venus" haben wir zwei Eigennamen "Morgenstern" und "Venus"
für denselben Gegenstand. In dem Satze "der Morgenstern ist ein Planet"
haben wir einen Eigennamen: "der Morgenstern" und ein Begriffswort: "ein
Planet". Sprachlich zwar ist nichts geschehen, als daß "die Venus'
ersetzt ist durch "ein Planet"; aber sachlich ist die Beziehung eine ganz
andere geworden. Eine Gleichung ist umkehrbar; das Fallen eines Gegenstandes
unter einen Begriff ist eine nicht umkehrbare Beziehung. Das "ist" im Satze
"der Morgenstern ist die Venus" ist offenbar nicht die bloße Kopula,
sondern auch inhaltlich ein wesentlicher Teil des Prädikats, so daß
in den Worten: "die Venus" nicht das ganze Prädikat enthalten ist
(3). Man könnte dafür
sagen: "der Morgenstern ist nichts anderes als die Venus", und hier haben wir,
was vorhin in dem einfachen "ist" lag, in vier Worte auseinandergelegt, und in
"ist nichts anderes als" ist nun "ist" wirklich nur noch die Kopula. Was hier
ausgesagt wird, ist also nicht die Venus, sondern nichts anderes als
die Venus. Diese Worte bedeuten einen Begriff, unter den freilich nur ein
einziger Gegenstand fällt. Aber ein solcher Begriff muß immer noch
von dem Gegenstande unterschieden werden (4).
Wir haben hier ein Wort: "Venus", welches nie eigentlich
Prädikat [195] sein kann, wiewohl es
einen Teil eines Prädikates bilden kann. Die Bedeutung
(5) dieses Wortes kann also nie
als Begriff auftreten, sondern nur als Gegenstand. Daß es etwas der Art
gibt, würde auch Kerry wohl nicht bestreiten wollen. Damit
wäre aber ein Unterschied zugestanden, dessen Anerkennung sehr wichtig
ist, zwischen dem, was nur als Gegenstand auftreten kann, und allem
übrigen. Und dieser Unterschied würde auch dann nicht verwischt
werden, wenn es wahr wäre, was Kerry meint, daß es Begriffe
gebe, welche auch Gegenstände sein können. Nun gibt es wirklich
Fälle, welche diese Ansicht zu stützen scheinen. Ich habe selbst
darauf hingewiesen (Grundlagen § 53 am Ende), daß ein Begriff unter
einen höheren fallen könne, was jedoch nicht mit der Unterordnung
eines Begriffes unter einen anderen zu verwechseln sei. Kerry beruft
sich hierauf nicht, sondern gibt folgendes Beispiel: "der Begriff ,Pferd" ist
ein leicht gewinnbarer Begriff", und meint, der Begriff "Pferd" sei Gegenstand,
und zwar einer der Gegenstände, die unter den Begriff " leicht gewinnbarer
Begriff" fallen. Ganz recht! Die drei Worte "der Begriff ,Pferd'" bezeichnen
einen Gegenstand, aber eben darum keinen Begriff, wie ich das Wort gebrauche.
Dies stimmt vollkommen mit dem von mir gegebenen Kennzeichen
(6) überein, wonach beim
Singular der bestimmte Artikel immer auf einen Gegenstand hinweist,
während der unbestimmte ein Begriffswort begleitet. Kerry meint nun
zwar, daß man auf sprachliche Unterscheidungen keine logische
Festsetzungen gründen könne; aber in der Weise, wie ich das tue, kann
es überhaupt niemand vermeiden, der solche Festsetzungen macht, weil wir
uns ohne die Sprache nicht verständigen können und daher zuletzt doch
immer auf das Vertrauen angewiesen sind, der andere verstehe die Worte, die
Formen und die Satzbildung im wesentlichen so wie wir selbst. Wie schon gesagt:
ich wollte nicht definieren, sondern nur Winke geben, indem ich mich dabei auf
das allgemeine deutsche Sprachgefühl berief. Es kommt mir dabei
vortrefflich zustatten, daß der sprachliche Unterschied so gut mit dem
sachlichen übereinstimmt. Beim unbestimmten Artikel ist wohl
überhaupt keine Ausnahme von unserer Regel anzumerken, es wären denn
altertümliche Formeln, wie "ein edler Rat". Nicht ganz so einfach liegt
die Sache beim bestimmten Artikel, [196]
besonders im Plural; aber auf diesen Fall bezieht sich mein n6 Kennzeichen
nicht. Beim Singular ist die Sache, soviel ich sehe, nur dann zweifelhaft:,
wenn er statt des Plurals steht, wie in den Sätzen: "der Türke
belagerte Wien", "das Pferd ist ein vierbeiniges Tier". Diese Fälle sind
so leicht als besondere zu erkennen, daß unsere Regel durch ihr Vorkommen
an Wert kaum einbüßt. Es ist klar, daß im ersten Satze "der
Türke" Eigenname eines Volkes ist. Der zweite Satz ist wohl am
angemessensten als Ausdruck eines allgemeinen Urteils aufzufassen, wie: "alle
Pferde sind vierbeinige Tiere", oder: "alle wohlausgebildeten Pferde sind
vierbeinige Tiere", wovon später noch die Rede sein wird
(7). Wenn nun Kerry mein
Kennzeichen unzutreffend nennt, indem er behauptet, in dem Satze "der Begriff,
von dem ich jetzt eben spreche, ist ein Individualbegriff" bedeute der aus den
ersten acht Wörtern bestehende Name sicherlich einen Begriff, so versteht
er das Wort "Begriff" nicht in meinem Sinne, und der Widerspruch liegt nicht in
meinen Festsetzungen. Niemand kann aber verlangen, daß meine
Ausdrucksweise mit der Kerrys übereinstimmen müsse. Es kann ja
nicht verkannt werden, daß hier eine freilich unvermeidbare sprachliche
Härte vorliegt, wenn wir behaupten: der [197] Begriff Pferd ist kein Begriff
(8), während doch z. B. die
Stadt Berlin eine Stadt und der Vulkan Vesuv ein Vulkan ist. Die Sprache
befindet sich hier in einer Zwangslage, welche die Abweichung vom
Gewöhnlichen rechtfertigt. Daß unser Fall ein besonderer ist, deutet
Kerry selbst durch die Anführungszeichen beim Worte "Pferd" an
ich gebrauche zu demselben Zwecke kursive [*]
Schrift. Es lag kein Grund vor, die Wörter "Berlin"
und "Vesuv" in ähnlicher Weise auszuzeichnen. Man hat bei logischen
Untersuchungen nicht selten das Bedürfnis, etwas von einem Begriffe
auszusagen und dies auch in die gewöhnliche Form für solche Aussagen
zu kleiden, daß nämlich die Aussage Inhalt des grammatischen
Prädikats wird. Danach würde man als Bedeutung des grammatischen
Subjekts den Begriff erwarten; aber dieser kann wegen seiner prädikativen
Natur nicht ohne weiteres so erscheinen, sondern muß erst in einen
Gegenstand verwandelt werden, oder, genauer gesprochen, er muß durch
einen Gegenstand (9) vertreten
werden, den wir mittels der vorgesetzten Worte "der Begriff" bezeichnen, z. B.
"der Begriff Mensch ist nicht leer".
Hier sind die ersten drei Wörter als Eigenname
(10) aufzufassen, der
ebensowenig prädikativ gebraucht werden kann wie etwa "Berlin" oder
"Vesuv". Wenn wir sagen: "Jesus fällt unter den Begriff Mensch", so
ist das Prädikat (von der Kopula abgesehen)
"fallend unter den Begriff Mensch",
und das bedeutet dasselbe wie
"ein Mensch".
Von diesem Prädikate ist aber die
Wortverbindung
"der Begriff Mensch"
nur ein Teil. Man könnte gegen die
prädikative Natur des Begriffes geltend machen, daß doch von einem
Subjektsbegriffe gesprochen werde. Aber auch in solchen Fällen, wie z. B.
in dem Satze
"alle Säugetiere haben rotes Blut"
ist die prädikative Natur
(11) des Begriffes nicht zu
verkennen; denn man kann dafür sagen:
[198] "was
Säugetier ist, hat rotes Blut",
oder
"wenn etwas ein Säugetier ist, so hat es
rotes Blut".
Als ich meine Grundlagen der Arithmetik schrieb,
hatte ich den Unterschied zwischen Sinn und Bedeutung noch nicht gemacht
(12) und daher unter dem
Ausdrucke "beurteilbarer Inhalt" noch das zusammengefaßt, was ich jetzt
mit den Wörtern "Gedanke" und "Wahrheitswert" unterscheidend bezeichne.
Die dort auf S.77 gegebene Erklärung billige ich darum ihrem Wortlaute
nach nicht mehr ganz, obwohl ich im wesentlichen noch derselben Meinung bin.
Wir können kurz sagen, indem wir "Prädikat" und "Subjekt" im
sprachlichen Sinne verstehen: Begriff ist Bedeutung eines Prädikates,
Gegenstand ist, was nie die ganze Bedeutung eines Prädikates, wohl aber
Bedeutung eines Subjekts sein kann. Dabei ist zu bemerken, daß die
Wörter "alle", "jeder", "kein", "einige" vor Begriffswörtern stehen.
Wir sprechen in den allgemein und partikulär bejahenden und verneinenden
Sätzen Beziehungen zwischen Begriffen aus und deuten die besondere Art
dieser Beziehung durch jene Wörter an, die also logisch nicht enger mit
dem darauffolgenden Begriffsworte zu verbinden, sondern auf den ganzen Satz zu
beziehen sind. Man sieht das leicht bei der Verneinung. Wenn in dem Satze
"alle Säugetiere sind Landbewohner"
die Wortverbindung "alle Säugetiere" das
logische Subjekt zum Prädikate sind Landbewohner ausdrückte,
so müßte man, um das Ganze zu verneinen, das Prädikat
verneinen: "sind nicht Landbewohner". Statt dessen ist das "nicht" vor "alle"
zu setzen, woraus folgt, daß "alle" logisch zum Prädikate
gehört. Dagegen verneinen wir den Satz "der Begriff Säugetier
ist untergeordnet dem Begriffe Landbewohner", indem wir das
Prädikat verneinen: "ist nicht untergeordnet dem Begriff
Landbewohner". Wenn wir festhalten, daß in meiner Redeweise
Ausdrücke wie "der Begriff F" nicht Begriffe, sondern
Gegenstände bezeichnen, [199] so
werden die Einwendungen Kerrys schon größtenteils
hinfällig. Wenn er meint (S.281), ich habe Begriff und Begriffsumfang
identifiziert, so irrt er. Ich habe nur meine Meinung ausgesprochen, man
könne in dem Ausdrucke "die Anzahl, welche dem Begriff F zukommt,
ist der Umfang des Begriffes gleichzahlig dem Begriffe F" die Worte
"Umfang des Begriffes" durch "Begriff" ersetzen. Man beachte hierbei wohl,
daß dies Wort dann mit dem bestimmten Artikel verbunden ist.
übrigens war dies nur eine beiläufige Bemerkung, auf die ich nichts
gegründet habe. Während es demnach Kerry nicht gelingt,
die Kluft zwischen Begriff und Gegenstand auszufüllen, könnte man
meine eigenen Aussprüche in diesem Sinne verwerten wollen. Ich habe gesagt
(13), die Zahlangabe enthalte
eine Aussage von einem Begriffe; ich spreche von Eigenschaften, die von einem
Begriffe ausgesagt werden, und lasse einen Begriff unter einen höheren
fallen (14). Ich habe die
Existenz Eigenschaft eines Begriffes genannt. Wie ich dies meine, wird an einem
Beispiele am besten klar werden. In dem Satze "es gibt mindestens eine
Quadratwurzel aus 4" wird nicht etwa von der bestimmten Zahl 2 etwas ausgesagt,
noch von 2, sondern von einem Begriffe, nämlich Quadratwurzel aus
4, daß dieser nicht leer sei. Wenn ich aber denselben Gedanken so
ausdrücke: "der Begriff Quadratwurzel aus 4 ist erfüllt", so
bilden die ersten fünf Worte den Eigennamen eines Gegenstandes, und von
diesem Gegenstande ist etwas ausgesagt. Aber man beachte wohl, daß diese
Aussage nicht dieselbe ist wie die vom Begriffe gemachte. Dies ist nur
wunderbar für einen, der verkennt, daß ein Gedanke mannigfach
zerlegt werden kann und daß dadurch bald dies, bald jenes als Subjekt und
als Prädikat erscheint. Durch den Gedanken selbst ist noch nicht bestimmt,
was als Subjekt aufzufassen ist. Wenn man sagt: "das Subjekt dieses Urteils",
so bezeichnet man nur dann etwas Bestimmtes, wenn man zugleich auf eine
bestimmte Art der Zerlegung hinweist. Meist tut man dies mit Beziehung auf
einen bestimmten Wortlaut. Man darf aber nie vergessen, daß verschiedene
Sätze denselben Gedanken ausdrücken können. So könnte man
in unserem Gedanken auch eine Aussage von der Zahl 4 finden:
"die Zahl 4 hat die Eigenschaft, daß es
etwas gibt, dessen Quadrat sie ist".
[200] Die
Sprache hat Mittel, bald diesen, bald jenen Teil des Gedankens als Subjekt
erscheinen zu lassen. Eins der bekanntesten ist die Unterscheidung der Formen
des Aktivs und des Passivs. Es ist daher nicht unmöglich, daß
derselbe Gedanke bei einer Zerlegung als singulärer, bei einer
anderen als partikulärer, bei einer dritten als allgemeiner erscheint.
Danach darf es nicht Wunder nehmen, daß derselbe Satz aufgefaßt
werden kann als eine Aussage von einem Begriffe und auch als eine Aussage von
einem Gegenstande, wenn nur beachtet wird, daß diese Aussagen verschieden
sind. Es ist unmöglich, in dem Satze "es gibt mindestens eine
Quadratwurzel aus 4" die Worte "eine Quadratwurzel aus 4" zu ersetzen durch
"den Begriff Quadratwurzel aus 4"; d. h. die Aussage, die auf den
Begriff paßt, paßt nicht auf den Gegenstand. Obgleich unser Satz
den Begriff nicht als Subjekt erscheinen läßt, sagt er doch etwas
von ihm aus. Man kann es so auffassen, als werde das Fallen eines Begriffes
unter einen höheren (15) ausgedrückt. Aber hierdurch wird der Unterschied zwischen
Gegenstand und Begriff keineswegs verwischt. Zunächst bemerken wir,
daß in dem Satze "es gibt mindestens eine Quadratwurzel aus 4" der
Begriff seine prädikative Natur nicht verleugnet. Man kann sagen "es gibt
etwas, was die Eigenschaft hat, mit sich selbst multipliziert 4 zu ergeben".
Folglich kann das nie von einem Gegenstande ausgesagt werden, was hier von dem
Begriffe ausgesagt wird; denn ein Eigenname kann nie Prädikatsausdruck
sein, wiewohl er Teil eines solchen sein kann. Ich will nicht sagen, es sei
falsch, das von einem Gegenstande auszusagen, was hier von einem Begriffe
ausgesagt wird; sondern ich will sagen, es sei unmöglich, es sei sinnlos.
Der Satz "es gibt Julius Cäsar" ist weder wahr noch falsch, sondern
sinnlos, wiewohl der Satz "es gibt einen Mann mit Namen Julius Cäsar"
einen Sinn hat; aber hier haben wir auch wieder einen Begriff, wie der
unbestimmte Artikel erkennen läßt. Dasselbe haben wir in dem Satze
"es gibt nur ein Wien". Man muß sich nicht dadurch täuschen lassen,
daß die Sprache manchmal dasselbe Wort teils als Eigennamen, teils als
Begriffswort gebraucht. Das Zahlwort deutet hier an, daß der letzte Fall
vorliegt. "Wien" ist hier ebenso Begriffswort wie "Kaiserstadt". Man kann in
diesem Sinne sagen "Triest ist kein Wien". Wenn wir [201] dagegen in dem Satze "der Begriff
Quadratwurzel aus 4 ist erfüllt" den durch die ersten fünf
Worte gebildeten Eigennamen durch "Julius Cäsar" ersetzen, so erhalten wir
einen Satz, der einen Sinn hat, aber falsch ist; denn das Erfülltsein, wie
das Wort hier verstanden wird, kann in Wahrheit nur von Gegenständen ganz
besonderer Art ausgesagt werden, solchen nämlich, welche durch Eigennamen
von der Form "der Begriff F" bezeichnet werden können. Die Worte "der
Begriff Quadratwurzel aus 4" verhalten sich aber in Hinsicht auf ihre
Ersetzbarkeit wesentlich anders als die Worte "eine Quadratwurzel aus 4" in
unserem ursprünglichen Satze, d. h. die Bedeutungen dieser beiden
Wortverbindungen sind wesentlich verschieden. Was hier an einem Beispiele
gezeigt ist, gilt allgemein: der Begriff verhält sich wesentlich
prädikativ auch da, wo etwas von ihm ausgesagt wird; folglich kann er dort
nur wieder durch einen Begriff, niemals durch einen Gegenstand ersetzt werden.
Die Aussage also, welche von einem Begriffe gemacht wird, paßt gar nicht
auf einen Gegenstand. Die Begriffe zweiter Stufe, unter welche Begriffe fallen,
sind wesentlich verschieden von den Begriffen erster Stufe, unter welche
Gegenstände fallen. Die Beziehung eines Gegenstandes zu einem Begriffe
erster Stufe, unter den er fällt, ist verschieden von der allerdings
ähnlichen eines Begriffes erster Stufe zu einem Begriffe zweiter Stufe.
Man könnte vielleicht, um dem Unterschiede zugleich mit der
Ähnlichkeit gerecht zu werden, sagen, ein Gegenstand falle unter
einen Begriff erster Stufe, und ein Begriff falle in einen Begriff
zweiter Stufe. Der Unterschied von Begriff und Gegenstand bleibt also in ganzer
Schroffheit bestehen. Hiermit hängt zusammen, was ich im § 53
meiner Grundlagen über meine Gebrauchsweise der Wörter "Eigenschaft"
und "Merkmal" gesagt habe. Kerrys Ausführungen veranlassen mich,
noch einmal darauf zurückzukommen. Jene Wörter dienen zur Bezeichnung
von Beziehungen in Sätzen wie " ist Eigenschaft von " und " ist Merkmal
von ". Nach meiner Redeweise kann etwas zugleich Eigenschaft und Merkmal sein,
aber nicht von demselben. Ich nenne die Begriffe, unter die ein Gegenstand
fällt, seine Eigenschaften, so daß
" zu sein ist eine Eigenschaft von "
nur eine andere Wendung ist für
" fällt unter den Begriff des ".
Wenn der Gegenstand die Eigenschaften , und hat, so
kann ich diese in zusammenfassen, so daß es dasselbe ist, ob ich sage,
habe die Eigenschaft , oder ob ich sage, habe [202] die Eigenschaften und und . Ich nenne dann ,
und Merkmale des Begriffes und zugleich Eigenschaften von . Es ist klar,
daß die Beziehung von zu ganz verschieden ist von der zu , und daß
darum eine verschiedene Benennung geboten ist. fällt unter den Begriff ;
aber , das selber ein Begriff ist, kann nicht unter den Begriff erster Stufe
fallen, sondern könnte nur zu einem Begriffe zweiter Stufe in einer
ähnlichen Beziehung stehen. Dagegen ist dem untergeordnet. Betrachten
wir hierzu ein Beispiel! Statt zu sagen:
"2 ist eine positive Zahl" und "2 ist eine
ganze Zahl" und "2 ist kleiner als 10"
können wir auch sagen
"2 ist eine positive ganze Zahl kleiner als 10".
Hier erscheinen
eine positive Zahl zu sein, eine ganze
Zahl zu sein, kleiner als 10 zu sein
als Eigenschaften des Gegenstandes 2, zugleich aber
als Merkmale des Begriffes
positive ganze Zahl kleiner als 10.
Dieser ist weder positiv, noch eine ganze Zahl,
noch kleiner als 10. Er ist zwar untergeordnet dem Begriffe ganze Zahl,
aber er fällt nicht unter ihn. Vergleichen wir nun hiermit, was
Kerry im 2.Artikel S.424 sagt: "Man versteht unter der Zahl 4 das
Resultat der additiven Verknüpfung von 3 und 1. Der Begriffsgegenstand des
hiermit angegebenen Begriffes ist das Zahlenindividuum 4, eine ganz bestimmte
Zahl der natürlichen Zahlenreihe. Dieser Gegenstand trägt offenbar
genau die in seinem Begriffe genannten Merkmale an sich und falls man,
wie man wohl muß, davon absteht, die unendlich vielen Beziehungen, in
denen er zu allen anderen Zahlenindividuen steht, ihm als propria
anzurechnen keine anderen sonst: ,die' 4 ist gleichfalls das Resultat
der additiven Verknüpfung von 3 und 1." Man erkennt sogleich,
daß der von mir gemachte Unterschied zwischen Eigenschaft und Merkmal
hier ganz verwischt ist. Kerry unterscheidet hier zwischen der Zahl 4
und "der" Zahl 4. Ich muß gestehen, daß mir dieser Unterschied
unfaßbar ist. Die Zahl 4 soll Begriff sein; "die" Zahl 4 soll
Begriffsgegenstand und nichts anderes sein als das Zahlenindividuum 4.
Daß hier meine Unterscheidung von Begriff und Gegenstand nicht [203] vorliegt, braucht nicht begründet zu
werden. Es scheint fast, als ob Kerry hier wenn auch ganz dunkel
der Unterschied vorschwebt, den ich mache zwischen dem Sinne und der
Bedeutung der Worte "die Zahl 4" (16).
Aber nur von der Bedeutung kann man sagen, sie sei das
Resultat der additiven Verknüpfung von 3 und 1. Wie soll denn das
"ist" verstanden werden in den Sätzen "die Zahl 4 ist das Resultat der
additiven Verknüpfung von 3 und 1" und ",die' Zahl 4 ist das Resultat der
additiven Verknüpfung von 3 und 1"? Ist es bloße Kopula, oder hilft
es eine logische Gleichung ausdrücken? In jenem Falle müßte
"das" vor "Resultat" fehlen und die Sätze würden etwa lauten:
"die Zahl 4 ist Resultat der additiven Verknüpfung von 3 und 1" und
",die' Zahl 4 ist Resultat der additiven Verknüpfung von 3 und 1".
Wir hätten dann den Fall, daß die von Kerry mit
"die Zahl 4" und ",die' Zahl 4"
bezeichneten Gegenstände unter den Begriff
Resultat der additiven Verknüpfung von 3
und 1
fielen. Es würde sich dann nur fragen, wodurch
sich diese Gegenstände unterscheiden. Ich gebrauche hier die Wörter
"Gegenstand" und "Begriff" in der mir geläufigen Weise. Was Kerry
sagen zu wollen scheint, würde ich so ausdrücken: "die Zahl 4 hat
das und nur das als Eigenschaft, was der Begriff
Resultat der additiven Verbindung von 3 und
1
als Merkmal hat." Den Sinn des ersten unserer
beiden Sätze würde ich dann so ausdrücken: "eine Zahl 4 zu
sein ist dasselbe wie Resultat der additiven Verknüpfung von 3 und 1 zu
sein"; und dann könnte das, was ich eben als Meinung Kerrys
vermutete, auch so gegeben werden: "die Zahl 4 hat das und nur das als
Eigenschaft, was der Begriff
Zahl 4
als Merkmal hat." Ob dies wahr ist, kann hier
unentschieden bleiben. Bei den [204] Worten
"'die' Zahl 4" könnten wir dann den bestimmten Artikel aus den
Gänsefüßchen entlassen. Aber bei diesen Deutungsversuchen
haben wir vorausgesetzt, daß die bestimmten Artikel vor "Resultat" und
"Zahl 4" wenigstens in einem der beiden Sätze nur aus Versehen gesetzt
wären. Nehmen wir die Worte, wie sie sind, so kann man ihren Sinn nur als
logische Gleichung auffassen, wie "die Zahl 4 ist nichts anderes als das
Resultat der additiven Verknüpfung von 3 und 1". Der bestimmte Artikel
vor "Resultat" ist hier logisch nur gerechtfertigt, wenn anerkannt ist, 1.
daß es ein solches Resultat gibt, 2. daß es nicht mehr als eins
gibt. Dann bezeichnet diese Wortverbindung einen Gegenstand und ist als
Eigenname aufzufassen. Wenn unsere beiden Sätze als logische Gleichungen
zu verstehen wären, so würde aus ihnen folgen, da die rechten Seiten
übereinstimmen, die Zahl 4 sei 'die' Zahl 4, oder, wenn man lieber will,
die Zahl 4 sei nichts anderes als 'die' Zahl 4, womit der von Kerry
gemachte Unterschied als hinfällig bewiesen wäre. Doch es ist hier
nicht meine Aufgabe, Widersprüche in seiner Darstellung nachzuweisen. Was
er unter den Wörtern "Gegenstand" und "Begriff" versteht, geht mich hier
eigentlich nichts an; ich will hiermit nur meine eigene Gebrauchsweise dieser
Wörter in ein helleres Licht setzen und dabei zeigen, daß sie von
seiner jedenfalls abweicht, mag diese nun mit sich zusammenstimmen oder nicht.
Ich bestreite Kerry durchaus nicht das Recht, die Wörter
"Gegenstand" und "Begriff" in seiner Weise zu gebrauchen, möchte mir aber
das gleiche Recht wahren und behaupten, daß ich mit meiner Bezeichnung
einen Unterschied von der höchsten Wichtigkeit gefaßt habe. Der
Verständigung mit dem Leser steht freilich ein eigenartiges Hindernis im
Wege, daß nämlich mit einer gewissen sprachlichen Notwendigkeit mein
Ausdruck zuweilen, ganz wörtlich genommen, den Gedanken verfehlt, indem
ein Gegenstand genannt wird, wo ein Begriff gemeint ist. Ich bin mir
völlig bewußt, in solchen Fällen auf ein wohlwollendes
Entgegenkommen des Lesers angewiesen zu sein, welcher mit einem Körnchen
Salz nicht spart. Man denkt vielleicht, diese Schwierigkeit sei
künstlich gemacht, man brauche etwas so Unhandliches wie das, was ich
Begriff genannt habe, gar nicht in Betracht zu ziehen, und könne mit
Kerry das Fallen eines Gegenstandes unter einen Begriff als eine
Beziehung ansehen, in welcher das einmal als Gegenstand [205] erscheinen könne, was ein andermal als
Begriff auftrete. Die Wörter "Gegenstand" und "Begriff" dienten dann nur
dazu, die verschiedene Stellung in der Beziehung anzudeuten. Das kann man tun;
wer aber hiermit die Schwierigkeit vermieden glaubt, irrt sehr. Sie ist nur
verschoben; denn von den Teilen eines Gedankens dürfen nicht alle
abgeschlossen sein, sondern mindestens einer muß irgendwie
ungesättigt oder prädikativ sein, sonst würden sie nicht
aneinander haften. So haftet z. B. der Sinn der Wortverbindung "die Zahl 2"
nicht an dem des Ausdrucks "der Begriff Primzahl" ohne ein Bindemittel.
Ein soldfies wenden wir an in dem Satze "die Zahl 2 fällt unter den
Begriff Primzahl". Es ist enthalten in den Worten "fällt unter",
die in doppelter Weise einer Ergänzung bedürfen: durch ein Subjekt
und einen Akkusativ; und nur durch diese Ungesättigtheit ihres Sinnes sind
sie fähig, als Bindemittel zu dienen. Erst wenn sie in dieser doppelten
Hinsicht ergänzt sind, haben wir einen abgeschlossenen Sinn, haben wir
einen Gedanken. Ich sage nun von solchen Worten oder Wortverbindungen,
daß sie eine Beziehung bedeuten. Nun haben wir bei der Beziehung dieselbe
Schwierigkeit, die wir beim Begriffe vermeiden wollten; denn mit den Worten
"die Beziehung des Fallens eines Gegenstandes unter einen Begriff" bezeichnen
wir keine Beziehung, sondern einen Gegenstand, und die drei Eigennamen "die
Zahl 2", "der Begriff Primzahl", "die Beziehung des Fallens eines
Gegenstandes unter einen Begriff" verhalten sich ebenso spröde zueinander
wie die beiden ersten allein; wie wir sie auch zusammenstellen, wir erhalten
keinen Satz. So erkennen wir leidet, daß die Schwierigkeit, welche in der
Ungesättigtheit eines Gedankenteils liegt, sich wohl verschieben, aber
nicht vermeiden läßt. "Abgeschlossen" und "ungesättigt" sind
zwar nur bildliche Ausdrücke, aber ich will und kann hier ja nur Winke
geben. Die Verständigung mag erleichtert werden, wenn der Leser meine
Schrift Funktion und Begriff vergleicht. Bei der Frage nämlich, was
man in der Analysis Funktion nenne, stößt man auf dasselbe Hemmnis;
und bei eindringender Betrachtung wird man finden, daß es in der Sache
selbst und in der Natur unserer Sprache begründet ist, daß sich eine
gewisse Unangemessenheit des sprachlichen Ausdrucks nicht vermeiden
läßt und daß nichts übrig bleibt, als sich ihrer
bewußt zu werden und ihr immer Rechnung zu tragen.
[*] Im Originaltext "gesperrte"
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