Volker Hagedorn: Bachs Welt. Die Familiengeschichte eines Genies Reinbek: Rowohlt, 2017. Broschiert, 410 Seiten – ![]() ![]() |
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Dass die Sippe Bach viele
Musiker hervorbrachte war mir schon vor der Lektüre bekannt. Ich dachte
dabei
immer an Geschwister oder Nachfahren vom großen Johann Sebastian Bach.
Doch Volker
Hagedorn zeigte
mir in Bachs Welt, dass Musik
den Bachens schon seit
Generationen in den Genen lag. |
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Das mehr als 400 Seiten
zählende Werk Bachs Welt
beginnt mit einem Überfall hinter Nürnberg auf Veit Bach, der 1591 mit
seiner Familie aus Preßburg nach Thüringen flüchtete. Warum? Aus
religiösen Gründen. Was zweierlei zeigt:
Bachs Welt verstärkte bei mir ein Zeitmerkmal, dass mich bereits in Bachs Audio-Biografie des Musikwissenschaftler Michael Maul ( ![]()
Der Autor zieht eine Analogie zu Ebola im Jahre 2014 (S. 192); das Coronavirus 2020 – ? konnte er noch nicht kennen. Doch für die heutigen Leser gibt es erstaunlich Parallelen. Damals wurde die Juden als Pestauslöser bezichtigt. Heute ist man bei Corona differenzierter: Juden, Pharmaindustrie, Bill Gates und andere Multimillionäre werden bezichtigt. Damals wurden die Juden in Erfurt ausnahmslos erschlagen (S. 222). Luther war mit seiner Schrift „Von den Juden und ihren Lügen” (1543) einer der Brandbeschleuniger (S. 223). Spät – gemäß dem Schwerpunkt auf den Bachens vor Bach – tritt Johann Sebastian Bach auf (S. 255). Eindrucksvoll schildert Hagedorn im Kapitel 7 „Der Aufbruch” den Brand in der Anna-Amalia-Bibliothek (S. 283). Er verbindet durchwegs geschickt Historie mit Gegenwart und vermerkt gelegentlich kluge Bezüge zum 20.Jhdt. Nur ein Beispiel:
Im Laufe der Lektüre merkte ich, dass ich wenig über die Kompositionen der vielen Bach-Musiker erfuhr. Das ändert sich aber in der zweiten Hälfte. Im Anhang sind die erwähnten Werke auf drei Seiten vermerkt. |
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Damit
füllte Bachs Welt bei
mir viele Lücken und zwar so fesselnd, das ich nach Ende der Lektüre
etwas traurig war. Mir fehlte etwas. |
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Man muss sich daran gewöhnen,
dass Hagedorn nicht nur schnelle Ortswechsel vollzieht, sondern auch
zeitlich in der Zeit der Bachs springt. Zudem flechtet er kurze
Episoden von aktuellen Besuchen des Autors an die Orte des Geschehens
ein. Das verbindet das 17. Jahrhundert mit der Gegenwart. Die Leser dürfen daher keine (musik)wissenschaftliche Biografie erwarten, aber auch keinen Roman, in dem das Fiktionale überwiegt. Auf der Gratwanderungen zwischen diesen beiden Genres geht Volker Hagedorn mit überzeugendem Schritt. Dafür verlegt Hagedorn die Quellenangaben in Fußnoten, die nur im Anhang (nicht im Text) auftauchen, ein diskussionswürdiges Vorgehen. Das mag manchem Leser die Lektüre erleichtern. Als ich den Zusammenhang bemerkt, kam ich gut damit zurecht. Die wörtlich zitierten Quellen kommen im zeitgenössischen Deutsch daher. Das war für mich oft schwer lesbar und nicht immer verständlich. Da wäre mir Paraphrasen lieber gewesen. Aber das beruht vielleicht auf meiner Faulheit mir die Originaltexte laut vorzulesen und damit verständlich zu machen. |
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Textvoraussetzungen |
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Manchmal
setzt Hagedorn einiges
voraus, das meine Vorkenntnisse überstieg; manchmal wünschte ich mir
eine Begriffserläuterung. Zwei Beispiele für meine Überforderung
Die Radschlosspistole (erstmals S. 52) musste ich ergoogeln. Aber zugegeben, irgendwo muss ein Autor auch etwas voraussetzen. |
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Hagedorn hat die Detailfülle
voll im Griff und gibt sie dosiert an die Leser weiter. Eine der wenigen Ausnahmen ist: Johann Nikolaus Forkel, der spätere Bach-Biograf. Carl Philipp könnte der Vater von Forkel sein (S. 319). Je mehr ich den Satz über Johanna Maria und Forkel lese, desto unverständlicher wird er mir. Kurz darauf erwähnt Hagedorn wieder, dass Carl Philipp Forkels Vater sein könnte (S. 320) Ein Detail erschien mir unglaubwürdig. Der Autor führt die Leser in die
Gegenwart. Ein Bild in der Neuen Kirche wird betrachtet. Der
Fagottist, auch Maler von Profession, erkennt, dass die Datumsangabe
dazu von 1594 nicht stimmen kann. Es sieht aus wie 20 Jahre früher.
Das muss ein wahrer Kenner sein und erinnert mich an zwei Snobs, die vom Urlaub auf einer Insel schwärmen. „Auf der Kokosinsel ist es herrlich!” „Ja, aber nur auf der Südhälfte!” |
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„Wir wissen
doch nur Winzigkeiten. Alles ist offen.” (S. 309)
Hagedorn übertreibt, zumindest mit der zweiten Aussage. Nach der
Lektüre war mir die Familiengeschichte, die einzigartige
Musikerdynastie („Neben diesem wilden, wild verzweigten Bach-Clan
wirken die Wagners wie Papiertiger”, Musikjournalistin Eleonore Büning
in der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung) und der zeitliche Rahmen
um vieles klarer. Die Nachbemerkung
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Bachs
Welt wird mit einem reichhaltigen Anhang noch besser
entschlüsselt. Ganz am Ende sind
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Ein – jetzt fehlen mir die passenden Eigenschaftswörter – bemerkenswertes, großartiges, beeindruckendes Buch, das jeder, der sich für die Musikerfamilie Bach interessiert, lesen muss. Ich erhoffe mir einen Folgeband zu Johann Sebastian Bach, seinen Geschwistern und Nachkommen. |
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